Verkehrsrecht in Griechenland


1.  Einleitung

2.  Haftungsgrundlagen

3.  Versicherungsdeckung

4.  Ersetzbarer Schaden

5.  Hilfskasse

6.  Verfahren

1. Einleitung

 

Es ist wohl keine erfreuliche Situation, dass die verkehrsrechtlichen Fälle einen nicht unbedeutenden Anteil des deutsch-griechischen Rechtsverkehrs ausmachen. Zum einen die etwas aggressive Fahrweise der Griechen und die nicht ideale Lage des Straßennetzes, zum anderen die Gelassenheit der Touristen samt vieler anderen Faktoren tragen dazu bei, dass es immer wieder zu Verkehrsunfällen mit Touristen kommt.
Folgender Beitrag stellt eine kurze Darstellung der Grundlagen des materiellen Rechts sowie der Verfahrensvorschriften dar, welche die rechtliche Behandlung eines Verkehrsunfalls in Griechenland betreffen.

2. Haftungsgrundlagen

 

Ebenso wie in Deutschland haftet neben den Unfallverursacher der Halter des Fahrzeugs. Es handelt sich um eine sogenannte objektive Haftung (Gefährdungshaftung). Dem Geschädigten steht neben Fahrer und Halter auch der Versicherer als (kreditwürdiger) Schuldner zur Verfügung. Sollte das unfallverursachende Fahrzeug trotz bestehender Versicherungspflicht nicht versichert sein, tritt anstelle des Versicherers die sogenannte Hilfskasse ein (dazu unten). Als Anspruchsgrundlage kommen vorerst die Vorschriften des griechischen bürgerlichen Gesetzbuches über Deliktshaftung in Betracht (Artikel 914-946 gr. BGB). Dabei handelt es sich um eine verschuldensabhängige Haftung. Dagegen existiert die Haftung des Halters unabhängig vom eigenen Verschulden, vielmehr haftet er auch für das Verschulden des Fahrers. Das Gesetz über die Haftung des Kraftfahrzeughalters stammt vom Jahr 1911.

Das griechische Recht sieht mehrere Anspruchsgrundlagen vor, nach denen die deutschen Versicherungsträger ihre Ausgaben (ersetzte Heilungkosten, Beihilfe usw.) vom Unfallverursacher und seinen Versicherer im Wege des Forderungsübergangs ersetzt verlangen können. Zunächst kommt in Betracht Artikel 25 des griechischen Bürgerlichen Gesetzbuches. Danach unterliegen vertragliche Schuldverhältnisse dem Recht des Landes, durch welche sie zustande gekommen sind (z.B. das deutsche Versicherungsvertragsgesetz und der dadurch vorgesehene Forderungsübergang). Leistungen eines Versicherungsträgers, welche als Sozialleistungen zu bewerten sind, fallen auch unter den Begriff des Artikel 53 des deutsch-griechischen Übereinkommens vom 31.05.1961. Danach wird der Übergang von Forderungen in einem Land auf das andere Land anerkannt. Ähnliches sieht auch die Verordnung 1408/1971 der Europäischen Union vor.


3. Versicherungsdeckung

 

Ein Haftpflichtversicherungsvertrag für Kraftfahrzeuge deckt nach den Geboten der Europäischen Union einen Mindestbetrag in Höhe von 500.000 Euro für Personenschäden und einen Mindestbetrag  in Höhe von 100.000 Euro für Sachschäden. Auch im Falle, dass der Fahrer den Unfall verursacht hat, haben die Mitfahrer (Insassen, Passagiere) einen Anspruch auf Entschädigung. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die mitfahrende Person in Kenntnis ist, dass das Kraftfahrzeug gestohlen ist oder zur Begehung von strafbaren Taten eingesetzt wird.

4. Ersetzbarer Schaden

 

Ebenso wie in Deutschland unterscheidet man zwischen materiellem Schaden (Heilkosten, Reparaturkosten usw.) und immateriellem (entgangener Gewinn usw.) Schaden.
In Bezug auf die materiellen Schadensposten  erstreckt sich der Ersatzanspruch auf fast alle Ausgaben der Geschädigten, Arzt-, Medikamente- und Krankenhauskosten, entgangener Gewinn und natürlich auf Sachschäden.  Hier ist zu bemerken, dass entgegen der in Deutschland herrschenden Rechtslage eine Drittschadensliquidation von der Rechtssprechung grundsätzlich nicht anerkannt wird. Der entgangene Gewinn des Arbeitgebers, welcher an den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer Lohn fortzahlt, gilt als mittelbarer Schaden und wird nicht ersetzt.

Schmerzensgeld


Auch in Griechenland wird vom Gesetz (Artikel 932 gr. BGB) Schmerzensgeld als Genugtuung für den immateriellen Schaden des Geschädigten vorgesehen. Dabei wird ein immaterieller Schaden nicht nur bei körperlichen Verletzungen anerkannt, sondern auch bei Sachschäden, etwa wegen der Beschädigung des eigenen Wagens.
Anspruchsinhaber ist grundsätzlich der Geschädigte selbst. Jedoch erkennen die Gerichte bei schwerwiegenden Körperverletzungen mit bleibenden Schäden, Behinderungen usw. einen Schmerzensgeldanspruch auch bei engen Familienangehörigen an. Es handelt sich um die sogenannten Schockschäden, welche durch die  schwere Verletzung des Familienangehörigen verursacht werden. Im Todesfalle erstreckt sich der Schmerzensgeldanspruch auf die Familienangehörigen des Verunglückten. Das Gesetz bestimmt nicht näher den Kreis der Anspruchsberechtigten. Grundsätzlich erkennen die Gerichte diesen Anspruch bei dem Ehegatten, den Eltern und den Kindern an. In der letzten Zeit erweitert die Rechtsprechung den Kreis der Berechtigten auf Verlobten, Enkelkinder, Großeltern usw., unter der Voraussetzung natürlich, dass die enge Lebensführung zwischen Opfer und Entschädigungsberechtigten bewiesen wird.

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es keine  Schmerzensgeldtabellen, wonach man seinen Anspruch bemessen kann. Die Höhe der angemessenen Entschädigung liegt im Ermessen der Gerichte und dies auch nur bei dem Gericht der Tatsacheninstanz. Eine Revision über die Höhe des Schmerzensgeldes ist ausgeschlossen. Aus diesem Grund gibt es manchmal große Unterschiede zwischen Urteilen, welche ähnliche Schmerzensgeldfälle behandeln.


5. Hilfskasse (Epikouriko Kefaleo):

 

Sollte das unfallverursachende Fahrzeug trotz bestehender Versicherungspflicht nicht versichert oder unbekannt sein, tritt anstelle des Schadensersatzpflichtigen die Hilfskasse ein. Es handelt sich dabei um eine juristische Person des privaten Rechts, welche praktisch die Rolle der Entschädigungsfonds in Deutschland spielt. Die Haftung der Hilfskasse wird in folgenden Fällen eingeschaltet:

  • Wenn das unfallverursachende Fahrzeug unbekannt ist. In diesem Fall entschädigt die Kasse nur Personenschäden. Sachschäden wurden vom Gesetzgeber ausgeschlossen, um sogenannte provozierte Unfälle zu vermeiden.
  • Wenn das unfallverursachende Fahrzeug unversichert ist.
  • Wenn der Unfall vorsätzlich verursacht wurde und deswegen vom Versicherungsvertrag nicht gedeckt wird.
  • Wenn gegen den Versicherer das Konkursverfahren eröffnet wurde oder seine Lizenz als Versicherer entnommen wurde.

 

6. Verfahren

 

Das griechische Prozeßrecht weist die Verkehrssachen den besonderen Verfahrensarten zu (Artikel 681 gr. ZPO). Die damit erzielte Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens tritt in der Praxis eher wenig in Erscheinung. Die wichtigste Regelung betrifft den Ausschluß der Kammer des Landgerichts. Eingeklagte Beträge bis zu 12.000 Euro werden vom  Amtsrichter entschieden, alle anderen vom Einzelrichter des Landgerichts.

Wichtig sind die Verjährungsfristen.
Deliktsrechtliche Ansprüche verjähren in 5 Jahren. Ausschlaggebend ist dabei die Kenntnis des Geschädigten vom Schaden und vom Ersatzpflichtigen. Dagegen verjähren die verschuldensunabhängigen Ansprüche aus der Gefährdungshaftung innerhalb von 2 Jahren ab dem Tag des Unfalls. Dieser kurzfristigen Verjährungsregelung kommt eher kleine praktische Bedeutung zu, sie kommt in Betracht wenn der Unfall zwar vom Fahrzeug, jedoch ohne Verschulden des Fahrers verursacht wurde (Fall des Bienenstichs). Ebenso zweijährig ist die Verjährungsfrist für die Ansprüche des Geschädigten gegen den Versicherer des Schädigers. Dagegen verjähren die Ansprüche des Versicherten gegen den Versicherer aufgrund des Versicherungsvertrags innerhalb von 4 Jahren in Bezug auf Sachschäden und in 5 Jahren in Bezug auf Personenschäden. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Ende des Jahres innerhalb dessen die Versicherungsgefahr zulasten des Versicherten eintritt. Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungsgefahr ist nach der herrschenden Meinung in der Rechtssprechung die Klageerhebung des Geschädigten gegen den Versicherten-Schädiger.
Man bemerkt gleich die unterschiedliche Behandlung der Ansprüche des geschädigten Dritten gegenüber dem Versicherer (zweijährige Verjährungsfrist) und der Ansprüche der versicherten Verragspartei des Versicherers (vier- und fünfjährige Verjährungsfrist). Dies ist in der Praxis wichtig. Oft ist die Erhebung einer Klage innerhalb der ersten zwei Jahre seit dem Unfallereignis aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Die Abrechnung von Krankenhaus- und Artztkosten, vor allem wenn sich dabei außer dem Geschädigten auch Krankenkassen, Reiseversicherungen uasw. beteiligen, kann lange Zeit beanspruchen, besonders bei schweren Körperverletzungen oder langdauernden Gewinnverlusten. Das griechische Zivilverfahrensrecht erlaubt keine Änderung des Klageantrags in die Höhe, d.h. man darf  den Klageantrag nur mindern. Ansprüche, welche nicht von Anfang an geltend gemacht wurden, müssen mit neuer Klage geltend gemacht werden. Es dürfte also nicht überraschen, wenn die zweijährige Verjährungsfrist gegen den vermögenden Versicherer vor der rechtzeitigen Geltendmachung aller Ansprüche abgelaufen ist.
In dem Falle bedient man sich der sogenannten Klage im Namen des eigentlichen Gläubigers (Artikle 72 gr. ZPO). Danach darf der Gläubiger (in diesem Fall der Geschädigte) die Ansprüche des Schuldners (Versicherter Schädiger) gegen einen Dritten (den Versicherer) geltend machen. Es handelt sich um eine rechtliche Konstruktion, welche nicht nur in Verkehrssachen geltend gemacht werden kann.